Haushälterin bei Pfarrer Graf
Von Frau Elfriede Polatzek aus 71364 Winnenden erhielten wir im Mai 2003 folgende Zuschrift (in der Wiedergabe leicht überarbeitet und gekürzt)
Vor ein paar Tagen habe ich den wunderbaren Internet-Auftritt von Sulzbürg entdeckt. Glückwunsch, wie schön Sie Ihr Dörfchen darstellen!
Es würde mich sehr freuen, wenn ich mit meiner E-Mail und den beigefügten Fotos noch einen kleinen Beitrag leisten könnte. Für mich als Fan Ihres Ortes, in dem vor ca. 90 Jahren meine Oma (Anm. d. Red.: Margarete Geissendörfer, geb. Staudinger, Jahrgang 1888) neun Jahre lang lebte, wäre es wunderbar, wenn ich "meine Geschichte" von Sulzbürg mit einem Foto von ihr als jungem Mädchen und ein paar anderen Sulzbürger Bildern, die sich in meinem Besitz befinden, im Internet sehen könnte. Meine Oma, die bereits seit fast 40 Jahren verstorben ist, hätte es verdient!

Sulzbürg und überlieferte Erinnerungen an vergangene Zeiten
Obwohl mich gut 200 km von Sulzbürg trennen, so besuche ich doch das schöne Dörfchen immer wieder gerne. Was mich mit dem Ort verbindet, sind einige sehr alte Fotos, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts entstanden und viele schöne Erinnerungsstücke, die meine Oma von dort einst mitgebracht und mir vererbt hat. Sie hat damals als junges Mädchen - fern von ihrem Zuhause, das im mittelfränkischen Ergersheim lag - neun Jahre lang im ehemaligen Pfarrhaus gewohnt und dort als Haushälterin bei der Pfarrfamilie Graf gearbeitet.
Zwischen ihr und der ganzen Pfarrfamilie bestand offenbar ein sehr, sehr inniges Verhältnis, erlebte sie doch mit der Familie den gesamten Ersten Weltkrieg, sowie Freud und Leid. So durfte sie z.B. nicht nur die Hochzeit der Adoptivtochter des Hauses mitfeiern, sondern musste auch den Tod der ersten, von ihr so sehr geschätzten Ehefrau des Pfarrers miterleben. Später kam dann eine neue, sehr aparte Pfarrfrau (s. Foto), die schnell volles Zutrauen zum Hausmädchen fasste und ihr selbst ihre innersten Gedanken und Gefühle preis gab.

Auch Jahre nachdem meine Oma Sulzbürg verlassen hatte, längst verheiratet war und selbst zwei Töchter hatte, stand sie noch in engem Kontakt mit dem in der Zwischenzeit zum zweiten Mal verwitweten Pfr. Graf, der die Familie seiner "Reta" (Margarete) immer gern besuchte. Die Verbundenheit ging sogar soweit, dass er sich in den 30er Jahren im Alter auf dem fränkischen Bauernhof meiner Grosseltern auspflegen lassen wollte. Aber meine Oma kannte ihren "alten Herrn" und wusste, dass er Wert auf Ruhe legte, die er sicherlich auf einem Hof mit zwei kleinen Kindern und einem ebenfalls im Haus lebenden Onkel nicht gehabt hätte. Deshalb musste sie ihm seine Idee, sich dort sein eigenes Zimmer und vor allem sein eigenes Bad einzurichten, schweren Herzens ausreden.
Die Kinder hätten sicherlich ihre Freude mit dem "Pfarronkel", wie sie ihn nannten, gehabt. Meine Mutter, die in der Zwischenzeit fast 80-jährige Tochter von Margarete, erzählt mir heute noch voller Begeisterung, wie sie sich als neunjähriges Mädchen bei einem Besuch des Pfarrers einst etwas zu Weihnachten wünschen durfte. Was konnte es anderes sein, als eine Puppe! Sie war begeistert und gab ihm gleich zwei kleine Zeitungsausschnitte, auf denen jeweils eine hübsche Puppe abgebildet war. Eine von beiden sollte es sein. Ein paar Wochen später, just zu Weihnachten, kam dann wieder der "Pfarronkel" mit einem schönen Paket. Es herrschte grenzenlose Freude! Die kleine Luise konnte es kaum erwarten, bis sie ihr Geschenk bekam.
Endlich überreichte er ihr das Paket mit den Worten: "Hier ist Deine Puppe, Puppe! Eine schöne Puppe!" Gespannt und voller Eifer packte sie ihr Geschenk aus. Doch was kam da zum Vorschein - eine grosse Jugendbibel mit Widmung, in die der "Pfarronkel" gerade jene Zeitungsaussschnitte mit den beiden Puppen geklebt hatte!
Diese Bibel halte ich heute sehr in Ehren. Genau wie das alte Gesangbuch, das Pfarrer Graf einst meiner Oma als Erinnerung an ihre "neun treuen Dienstjahre im Pfarrhaus Kerkhofen zu Sulzbürg" geschenkt hat.
Als Kind hat mir meine Oma immer wieder Geschichten aus Sulzbürg und dem dortigen Leben erzählt, die mich so beeindruckt haben, dass ich vor ein paar Jahren neugierig wurde und mit meinem Mann einen Sonntagsausflug nach Sulzbürg unternahm. Doch leider fanden wir das Pfarrhaus, das auf dem Foto abgebildet ist, nicht mehr. Eine ältere Dame, die wir auf der Strasse hinter der Marktkirche trafen, erzählte uns, dass dieses vor etlichen Jahren abgerissen worden sei. Schade! Zu unserem grossen Erstaunen konnte sie sich aber noch vage an das Pfarrehepaar Graf erinnern, als wir ihr das schöne Portrait-Foto, das wir damals natürlich mit auf unseren Ausflug nahmen, zeigten. Die nette Dame schickte uns dann ins Landlmuseum, das uns sehr beeindruckt hat.

Sonntagsstress und Pannen
Es war schon nicht leicht - das Leben als Haushälterin und Köchin im Pfarrhaus. Besonders hart ging es am Sonntag zur Sache, wenn die junge Margarete nicht nur der Familie und dem Besuch des Pfarrers ein schönes Sonntagsessen vorsetzen, sondern zunächst am Gottesdienst teilnehmen musste. Um die vielfältigen Anforderungen gut zu bestehen, lernte sie schnell, nicht nur den Haushalt mit Bravour zu meistern, sondern sich im Leben durchzusetzen. Aber es läuft halt nicht immer alles glatt! Und so kam es vor ungefährt 90 Jahren in Sulzbürg zu folgender netten Begebenheit.
Es war wieder einer jener stressigen Sonntage. Braten mit grossem Serviettenknödel, doch zunächst Besuch des Gottesdienstes, der damals von einem jungen Pfarrvikar gehalten wurde. Auch dieser war ganz offensichtlich im Stress und blieb vor lauter Aufregung (es war scheinbar einer seiner ersten Gottesdienste) beim Vaterunser stecken. Jeder hatte natürlich vollstes Verständnis für dieses kleine Missgeschick und es wurde kein Wort darüber verloren, keiner verzog nur eine Miene. Anschliessend kam dann dieser junge Herr ins Pfarrhaus zum Essen.
Nun war Margarete dran, ihre Kochkünste zu zeigen. Doch - wie gesagt - manchmal läuft halt alles schief! Die ganze Familie saß schon am Tisch und wartete hungrig auf den Braten. Doch das Hausmädchen blieb in der Küche - so lange, bis die Frau Pfarrer mal nach dem Rechten schaute. Da stand nun die gute Margarete ganz verzweifelt. Der Serviettenknödel war ihr doch immer gelungen, nur heute zerfiel er! Gerade heute, wo doch auch noch Besuch da war! Was sollte sie nur machen? Sie wollte ihn so nicht servieren. Doch Frau Pfarrer sagte: "Genau so stellst Du ihn auf den Tisch, genau so wird er gegessen." Was wollte sie auch anders machen? Rot im Gesicht vor Scham saß das Mädchen mit den anderen am Tisch. Sie traute sich kaum, dem Vikar in die Augen zu schaun.
Am Nachmittag dann verabschiedete sich der junge Besucher von der Familie. Als er Margarete die Hand drückte, sagte sie ihm höflich, er solle doch bald wieder mal kommen. "Gerne" entgegnete er, "doch dann muss es wieder den gleichen Serviettenknödel geben wie heute!" Nicht auf den Mund gefallen, zahlte sie ihm diese ironische Bemerkung mit der Antwort heim: "Ja, und Sie lernen bis dahin das Vaterunser!"